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Tabaksteuerpläne werfen politische Grundsatzfragen auf

Berlin (ots) – Am 22. April spricht der Bundestag erstmalig über das Tabaksteuermodernisierungsgesetz (TabStMoG), einen Entwurf aus dem Finanzministerium von Olaf Scholz. Auf den ersten Blick erscheint der Ansatz sinnvoll, das Tabakrauchen zu verteuern. Bei allein in Deutschland über 120.000 tabakbedingten Todesfällen pro Jahr, wer würde ernsthaft widersprechen wollen? Doch es lohnt sich, hier einen genaueren Blick auf das Gesetzgebungsvorhaben zu werfen. Der Entwurf bevorteilt in mehrfacher Hinsicht die Tabakkonzerne, die Zahlengrundlagen zur Besteuerung von Nikotin in E-Zigaretten sind inhaltlich hanebüchen, die geschätzten Einnahmen in diesem Bereich absurde Luftschlösser, die Konsequenzen für Länder und Kommunen werden verheimlicht, Regierungsvertreter belogen offenbar mehrfach die Oppositionsparteien.

Eine Packung Tabakzigaretten sollen in den nächsten Jahren in kleinen jährlichen Schritten im Preis von 7 Euro auf etwa 7,50 Euro steigen. Auch loser Feinschnitttabak zum Selbstdrehen wird ebenfalls nur homöopathisch verteuert. Das hat für die Tabakindustrie, die sich außerordentlich zufrieden mit dem Entwurf zeigt, gleich mehrere Vorteile [1]. Zuerst einmal sorgen die Minimalschritte bei den Erhöhungen dafür, dass Raucher nicht aussteigen, weil die jährlichen finanziellen Erhöhungen für den Konsumenten fast unbemerkt bleiben. Diese winzigen Schritte geben der Tabakindustrie, wie auch schon bei vorangegangenen Erhöhungen der Tabaksteuer, zudem die Möglichkeit zu versteckten Preiserhöhungen. Eine Lenkungswirkung, die Raucher zum Aufhören bewegt existiert an dieser Stelle nicht. Entsprechende politische Statements, damit Raucher zum Aufhören bewegen zu können, erscheinen an dieser Stelle schon mehr als befremdlich.

Wirklich neu ist im Gesetzesvorhaben neben dem Schließen eines „Steuerschlupflochs“ für sog. Tabakerhitzer auch die erstmalige Besteuerung von Nikotin in Nachfüllflüssigkeiten für E-Zigaretten. Die Besteuerung fällt dabei so hoch aus, dass dieses dem wissenschaftlichen Kontext nach weniger schädlichen Alternativ- bzw. Ausweichprodukte [2,3] teurer werden als das Rauchen selbst, und zwar erheblich. Dieser Preisdruck ist mehr als geeignet, Umsteiger wieder zurück zum Tabakrauchen zu bewegen, Public Health Experten zeigten sich bereits frühzeitig deswegen besorgt [4]. Zollgewerkschaften und Sicherheitsexperten zeigen sich zudem sehr besorgt darüber, dass bei derartig absurden Preissprüngen, neue lukrative Betätigungsfelder für die Organisierte Kriminalität entstehen werden [5,6].

Wirklich interessant wird das Gesetzesvorhaben aber erst, wenn man sich seine gesamte Historie anschaut. Dazu sagte Simon Bauer, Geschäftsführender Vorsitzender des BVRA e.V.: „Die Missachtung demokratischer und parlamentarischer Gepflogenheiten zur Durchsetzung dieses fiskalisch und gesundheitspolitisch gefährlichen Projektes ist mehr als bemerkenswert. Die Frage, ob wir es hier mit Dilettantismus oder Korruption zu tun haben, ist kaum zu beantworten.“.

– Bereits im Mai 2020 brachte Bündnis90/Die Grünen einen Antrag zur Weiterentwicklung der Tabaksteuer in die Debatte ein, die auch Tabakerhitzer und Liquids für E-Zigaretten umfassen sollte [7]. Dieser adressierte die Änderung aber klar bei der EU und votierte zudem für eine Abstufung nach unterschiedlicher Schädlichkeit der jeweiligen Produkte. Der Antrag scheiterte und die SPD präferierte bereits in dieser Debatte einen nationalen Alleingang.
– Am 3. September fand eine Anhörung des Finanzausschusses zum Antrag von Bündnis90/Die Grünen statt. Dabei warnte die Mehrheit der geladenen Experten deutlich vor den negativen gesundheitspolitischen Auswirkungen, wenn Alternativprodukte zum Rauchen zu hoch besteuert werden.
– Am 06. Januar 2021 antwortete die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, dass sie auf eine Harmonisierung auf Ebene der EU warte, bevor sie über das weitere Vorgehen entscheide. Umsatzzahlen zu E-Zigaretten lägen ihr nicht vor [8].
– Am 27. Januar 2021 antwortete die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, dass sie nicht plant, die Tabaksteuer zu erhöhen [9].
– Am 05. Februar berichtete der Spiegel [10] über den bereits fertig ausgearbeiteten Referentenentwurf des TabStMoG, womit auch klar war, dass die Bundesregierung bei den beiden zuvor genannten kleinen Anfragen die Opposition bewusst und vorsätzlich angelogen haben muss.
– Am 14. April stellte der FDP-Abgeordnete Dr. Gero Hocker in der 220. Sitzung des Bundestages der Bundesregierung die Frage, warum das geplante TabStMoG das Konzept der Schadensminimierung ignoriert. In einer schriftlichen Antwort erwiderte die Bundesregierung, dass die Tabaksteuer sich grundsätzlich nicht an einer Schadenswirkung orientiert, eine Besteuerung nach Schadenspotential für unionsrechtswidrig hält und sich nur am Kleinverkaufspreis orientiert. Dies war erneut gelogen und das gleich dreifach. Der Entwurf des TabStMoG argumentiert selbst mit Zielen der öffentlichen Gesundheit, für die Einschätzung zur Unionsrechtswidrigkeit gibt es keinen Beleg und noch einen Monat zuvor hatte die Bundesregierung angegeben, keine Umsatzzahlen vorliegen zu haben.

Dabei hören die seltsamen Begleitumstände noch nicht auf. Im Entwurf des TabStMoG ist von 2,5 Millionen Konsumenten die Rede. Die Grundlage dieser Zahl ist nicht ersichtlich, geht man nach DEBRA [12] sind es weniger als eine Million. Schon an dieser Stelle sind die daraus abgeleiteten Steuerschätzungen grotesk überhöht. Weiter geht der Entwurf von einem jährlichen Marktwachstum von 15% aus, während sowohl Ökonomen als auch Sicherheitsexperten von einem nahezu vollständigen Zusammenbruch des mittelständischen E-Zigarettenmarktes und einer weitgehenden Verlagerung auf den Schwarzmarkt ausgehen. Was neben dem Schwarzmarkt an Marktanteilen übrig bleibt können und werden sich dann die Tabakkonzerne einverleiben. Ebendiese sind aktuell im Markt der E-Zigaretten trotz teilweise gegenteiliger Wahrnehmung nur marginal vertreten und wären nach Wirksamwerden des TabStMoG die einzigen, die sich die notwendigen Erstinvestition in Zolllager und Steuerzeichen überhaupt leisten könnten. Bei der aktuellen Situation des mittelständischen Einzelhandels können die Fachhändler für E-Zigaretten das jedenfalls nicht. Der Entwurf spricht hier in triefendem Zynismus davon, dass es dem Fachhandel freistünde, die Preiserhöhungen an den Verbraucher weiterzugeben. Wie das bei einem Preisanstieg von teilweise um das Dreifache funktionieren soll, versucht man nicht einmal zu erklären. Wie sollte man auch?

An dieser Stelle muss man sich die Frage stellen, warum hier mit großer Vehemenz ein Gesetzgebungsvorhaben betrieben wird, bei dem sowohl der Staat als auch die Konsumenten und nicht zuletzt hunderte von inhabergeführten Mittelständern eindeutige Verlierer sind, während allein große Tabakkonzerne gleich mehrfach profitieren. Nicht nur, dass man wieder einmal die Preissteigerung beim Tabakrauchen völlig schmerzfrei gestaltet, sondern man überreicht grade der Industrie, die seit Jahrzehnten Politik und Verbraucher systematisch anlügt und Millionen Menschenleben auf dem Gewissen hat einen aktuell noch mittelständisch geprägten Konkurrenzmarkt, der für sinkende Raucherzahlen verantwortlich ist [13].

Die avisierten Steuereinnahmen wird es nicht geben. Durch die Pleitewelle im Fachhandel werden Ländern und Kommunen mehr Steuerausfälle entstehen, als der Bund durch die Besteuerung von Nikotin in E-Zigarettenliquids überhaupt einnehmen kann. Der Schwarzmarkt wird blühen. Die Raucherraten werden steigen.

Das alles in großer Eile in beschleunigten Verfahren, während die EU noch dieses Jahr einen Vorschlag zur Harmonisierung der Tabakbesteuerung vorlegen wird und noch nicht absehbar ist, ob eine Besteuerung von Nikotin statt der grundlegenden Flüssigkeitsmenge überhaupt noch rechtlich möglich sein wird.

Und dafür lügt man dann systematisch und wiederholt die Opposition an, verschleiert im Entwurf die tatsächlichen Erfüllungsaufwände und erfindet Steuerschätzungen, die sachlich nicht zu rechtfertigen sind. Warnungen von Ökonomen, Marktteilnehmern, Forschern und Sicherheitsexperten ignoriert man, ohne auch nur zu versuchen, die Bedenken in der Sache zu adressieren. Eine Erörterung in den fachlich relevanten Bundestagsausschüssen wie Gesundheit oder Ernährung und Landwirtschaft, versucht man aus offensichtlichen Gründen offenbar zu vermeiden.

Zunehmend wird politischer Widerstand laut und das nicht nur aus den Oppositionsparteien. Mehr und mehr Unionsabgeordnete nehmen öffentlich Abstand vom zunehmend fragwürdiger erscheinenden SPD-Projekt TabStMoG. Offenbar mangelte es den Sozialdemokraten in der Regierung nicht nur am Umgang mit der Opposition, sondern auch am Umgang mit dem Koalitionspartner.

Das alles wirft gewichtige Fragen auf!

Über uns

Der Bundesverband Rauchfreie Alternative e.V. ist ein unabhängiger Konsumentenverband. Seine Aufgabe ist die Information und Aufklärung über Alternativen zum schädlichen Tabakkonsum. Der Verband ist Ansprechpartner für Politik und Medien im Namen der Verbraucher, frei von moralischen Scheuklappen, basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen, unabhängig von Industrie und Handel.

Für den weiteren Kontext möchten wir auch auf unsere Verbandsstellungnahme zum Thema TabStMoG an das Bundesministerium für Finanzen verweisen, dies finden Sie hier: https://ots.de/vuRAjf (bvra.info)

Für Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich zur Verfügung. Gerne benennen wir Ihnen auch weitere Ansprechpartner aus Politik, Forschung und Markt zu den hier angesprochenen Themen.

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0151/54725502 (Geschäftsführender Vorstand Simon Bauer)

Quellenverweise

[1] https://ots.de/rimGXq (Sueddeutsche Zeitung)

[2] https://ots.de/J4iQ5t (wissenschaft.de)

[3] https://ots.de/u57bp9 (frankfurt-university.de)

[4] https://twitter.com/UteMons/status/1357588236726640640?s=20

[5] https://ots.de/SVcGhG (Stellungnahme BDZ beim BMF)

[6] https://ots.de/o7T4YK (Stellungnahme GDP Zoll beim BMF)

[7] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/189/1918978.pdf

[8] http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2570/257089.html

[9] https://www.bundestag.de/presse/hib/819080-819080

[10] https://ots.de/wNiMPy (spiegel.de)

[11] https://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19220.pdf (Seite 87, oben)

[12] https://www.debra-study.info/

[13] https://ots.de/fBqfzA (Cochrane.org)

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