Baden-Baden (ots) –
Ehemaliger Neonazi über Erfahrungen im rechtsextremen Milieu und seinen Ausstieg
Max ist noch keine 20 Jahre alt. Vor drei Jahren rutschte er in eine rechte Gruppe ab. Er schnitt sich die Haare kurz, trank täglich Dosenbier, trat einer rechtsextremen Partei bei, plante mit einer Gruppe Anschläge und wurde schließlich wegen Misshandlung und schwerer Körperverletzung angeklagt. Doch seine Zweifel wurden immer größer – bis er schließlich ausstieg.
„Wenn halt Menschen dabei zu Schaden kommen, dann ist das so“
Max lebt im Südwesten Deutschlands und heißt in Wirklichkeit anders. Als Mitglied einer rechtsextremen Gruppierung war Gewalt für ihn kein Tabu: „Wir hatten den Gedanken, wir fangen erst mal mit Terror auf Objekte an. Sei es, Denkmäler hochjagen oder sonst was. Wenn halt Menschen dabei zu Schaden kommen, dann ist das so. Aber dann ist das einkalkuliert. Das Ziel war: Lärm zu machen, sein Gedankengut verbreiten. Man wollte sagen: ‚Ey Leute, wacht auf! Was Euch die Massenmedien erzählen, das ist Schwachsinn, Ihr werdet manipuliert.‘ Dabei waren wir am Ende die Manipulierten.“ Seine Gruppe plante, Anschläge auf Holocaust-Denkmale zu verüben. Max erzählt das so: „Da war die Planung: Mitten in der Nacht einfach mit dem Fahrrad vorbei, ne Bombe ablegen, wegfahren, anrufen. Boom.“ Die Gruppe wollte ein Umdenken erreichen und mit ihren Aktionen aufrütteln. Sie wollte zeigen, dass der Staat nur mit einem nationalsozialistischen System funktionieren würde. „Wir hätten nicht davor zurückgeschreckt, weiterzugehen als, dass wenn einer am Boden liegt, dass man aufhört. Sondern, dass man so lange drauftritt, bis halt keiner mehr zuckt. […] Bis zum Mord“. Was ihn bei all seinen Taten antrieb? „Dieses Überlegenheitsgefühl. Vor allem, nachdem man jahrelang unterlegen war. Macht fühlt sich einfach gut an.“ Im Notfall wollte die Gruppe untertauchen, so Max: „Das sollte so weit eskalieren, dass wir einen Bauernhof oder Ähnliches zum Bunker umbauen. Dass, wenn wir irgendwann sagen, okay, wir sehen keine andere Möglichkeit mehr als Terror – dann machen wir Terror und haben einen Unterschlupf, den man auch verteidigen kann.“
„Musik ist ein extremes Mittel, um Menschen zu beeinflussen“
Max ist Fan von Rockmusik. Auf einer Party traf er auf einen Gleichgesinnten, der ihn mit der rechtsextremen Gruppe bekannt machte. Den Einfluss des Rechtsrocks auf seine Gesinnung beschreibt er folgendermaßen: „Das immer wieder Abspielen im Kopf. Man hat dann ja auch Ohrwürmer und alles. Das beeinflusst einen schon, wenn andauernd so Sätze durch den Kopf gehen wie: ‚Deutschland, Deutschland, wie wirst Du misshandelt.‘ Wenn sich diese Bilder im Kopf immer widerspiegeln. Immer wieder und immer wieder wiederholt werden, dann festigt sich das Ganze. Musik ist ein extremes Mittel, um Menschen zu beeinflussen.“ Je mehr Zeit er mit seinen neuen Freunden verbrachte, desto weniger Verbindungen hatte er zu anderen: „Man hatte nur noch Kontakt zu diesen Leuten, man hatte keine Möglichkeit mehr, woanders Leute zu suchen. Man war abgestempelt zum Nazi.“
„Ich wollte Menschen keinen Schaden mehr zufügen“
Irgendwann bekam Max Zweifel. Als einen der größten Denkanstöße in diese Richtung nennt Max eine Frage, die ihm von seiner Gruppe gestellt wurde: „Wenn es jetzt zum Krieg zwischen den Nationalsozialisten und den Linksextremisten kommt. Und Dein Bruder würde zu denen überlaufen. Würdest Du ihn erschießen? Das war eine Frage, wo ich gemerkt habe: Nein. Das war das, was mich am meisten aus dieser Szene rauskatapultiert hat. Das war der prägendste Moment.“ Er lag nächtelang wach, bis ihm klar wurde: „Ich wollte Menschen keinen Schaden mehr zufügen. Deshalb habe ich gesagt, brauche ich diesen Schnitt. Ansonsten schaff ich´s nicht.“ Gemeint ist der Ausstieg aus der Szene. „Ich habe gemerkt, ich will keine Leute verletzen oder misshandeln. Das wollte ich auch nicht mehr. Für mich hat es sich angefühlt, als würde ich aufwachen. Aus irgendeiner Gehirnwäsche. Man hat angefangen zu hinterfragen: ‚Was erzählen Dir Deine Kumpels, was machst Du eigentlich den ganzen Tag? Warum hängst Du nur besoffen auf irgendeinem Spielplatz rum, grölst da rechte Parolen vor dich her oder singst irgendwelche Lieder mit?‘ Und am Ende bringt es dir nichts, es bringt keinem anderen was. Es fügt maximalen Schaden zu. Wer weiß, was Kinder, die vorbeikommen für Schlüsse ziehen. Wenn man aussteigen wolle, müsse „man das direkt machen, ansonsten hat man da keine Chance“, erklärt Max.Er wurde aktiv und schaffte den Ausstieg aus der Szene allein: Er habe „alle Nummern gelöscht, Nummern blockiert, alles und jeden bei Instagram deabonniert, Brücken abgebrochen.“ Seine früheren Freunde aus der rechtsextremen Gruppe versuchten wieder Kontakt zu ihm aufzunehmen. Etwas Angst hat Max vor ihnen, Aussteiger gelten in dem Milieu als Freiwild. Bisher sei ihm noch nichts passiert.
Ausstiegsberaterin: Ausstieg nicht ankündigen
Verena Fiebig hilft Menschen wie Max, die aus einer rechtsextremen Gruppierung aussteigen wollen. Sie ist Ausstiegsberaterin bei Konex, dem baden-württembergischen Kompetenzzentrum gegen Extremismus, das zum Innenministerium gehört, aber laut Fiebig keine Informationen an den Verfassungsschutz weiterleitet. Grundsätzlich sei es aber eine gute Idee, nicht anzukündigen, dass man aussteigen wolle. Max‘ Weg sei die radikale Variante, die Fiebig einen „stillen Ausstieg“ nennt. Eine extremistische Radikalisierung gehe „immer damit einher, dass alternative Weltbilder, alternative Werte strikt abgelehnt werden.“ So isolierten sich Anhänger immer mehr. „Das ist ein zentraler Punkt, worauf letztendlich auch die Rekrutierungsbemühungen abzielen. Die wollen natürlich die Person, das Kind, den Jugendlichen, die Jugendliche dann isolieren. Weil dann haben Sie natürlich noch mehr Einflussmöglichkeiten. Und sind dann Brücken erstmal abgebrochen zum alten sozialen Umfeld, dann ist natürlich auch ein Zurückziehen aus der Szene sehr, sehr viel schwieriger.“
„SWR3 Report: Einmal Nazi und zurück“ vom 11. bis 15. Juli in SWR3 und auf SWR3.de
Vom 11. bis 15. Juli läuft der „SWR3 Report: Einmal Nazi und zurück“ immer um 16:40 Uhr im Radio. Der dazugehörige Podcast steht in der neuen Reihe „SWR3 Report“ ab dem 11. Juli dauerhaft zur Verfügung. Der „SWR3 Report: Einmal Nazi und zurück“ nimmt sich des Themas in einer speziellen Erzählform an, die für das Hören von Podcasts ausgelegt ist. Den Podcast gibt es auf SWR3.de, in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.
Zitate bei Verwendung der Quelle SWR3 frei.
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