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Europäischer Holocaustgedenktag für Sinti und Roma: Bundesratspräsident Bodo Ramelow mahnt die „unausgesprochene Apartheid“ an, von der die Minderheit in Teilen Europas noch heute betroffen ist

Heidelberg (ots) –

Mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow sprach heute auf Einladung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma erstmals ein deutscher Bundesratspräsident am Europäischen Holocaustgedenktag für Sinti und Roma in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und erinnerte gemeinsam an die 500 000 ermordeten Sinti und Roma im nationalsozialistisch besetzten Europa. Neben Bodo Ramelow sprachen Christian Pfeil für die Überlebenden des Holocaust, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma Romani Rose, der Präsident des polnischen Romaverbands Roman Kwiatkowski, die EU-Kommissarin für Gleichstellung Helena Dalli und für das Jugendnetzwerk TernYpe Nataliia Tomenko aus der Ukraine.

In seiner Rede am Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau sagte Bundesratspräsident Bodo Ramelow: „Wir sind heute hier, um dem Grauen ins Gesicht zu schauen und es dadurch sichtbar zu machen. Wir sind hier, um zusammen den Opfern die Ehre zu erweisen und um sie zu trauern. Und wir sind hier, um mit den Überlebenden und den nachgeborenen Familienangehörigen die Erinnerung wachzuhalten.“ Er übermittelte in seiner Rede auch die Grüße des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, den er in diesem Monat offiziell vertritt und erklärte an den Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma gerichtet: „Deshalb, lieber Romani Rose, gedenken Sie und die Menschen Ihrer Minderheit heute nicht alleine. Deutschland gedenkt mit Ihnen!“

Zugleich erinnerte er aber auch an die menschenverachtenden Umstände, unter denen viele Sinti und Roma in Teilen Europas noch heute leben müssen: „Die Roma sind Europas größte ethnische Minderheit. Und doch werden Sie vielerorts wieder in einer Art unausgesprochener Apartheid an den Rand gedrängt. Sie erleben in vielen Ländern Hass, Ausgrenzung, Rassismus, Gewalt und das Vorenthalten von bürgerlichen und sozialen Rechten.“

Mit Blick auf die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Ukraine mahnte er, man müsse besonders hinschauen, wie alle Beteiligten während des Krieges gegen die Ukraine mit den Roma und anderen Minderheiten umgehen würden, denn der Krieg dürfe nicht als Vorwand für eine Vertreibung der Roma aus der Ukraine dienen: „Ein Europa ohne die Gleichberechtigung der Roma kann und darf es nicht geben. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Art und Weise, wie Sinti und Roma behandelt werden, wie überhaupt mit Minderheiten umgegangen wird, ein wichtiges Kriterium für die Aufnahme neuer Länder in die EU ist.“

Auch EU-Kommissarin Helena Dalli wies in ihrer Rede auf die besorgniserregende Situation der Menschen hin, die aus der Ukraine vor dem russischen Angriffskrieg fliehen, unter ihnen viele Roma: „Die russische Aggression gegenüber der Ukraine hat dazu geführt, dass eine beispiellose Zahl von Flüchtlingen, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gekannt haben, vor dem Krieg geflohen ist, darunter auch zahllose Roma. Die EU ist entschlossen, alle Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Hautfarbe aufzunehmen. Ich habe alle EU-Mitgliedstaaten ausdrücklich gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass alle Roma-Flüchtlinge in ihrem Hoheitsgebiet aufgenommen werden und dass die Bedürfnisse der verschiedenen Gruppen in einem intersektionalen Ansatz berücksichtigt werden, der ihren besonderen Bedürfnissen Rechnung trägt.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, warnte dass die lange Zeit selbstverständlichen Errungenschaften der offenen demokratischen Gesellschaft durch spalterische Hetze gegen Minderheiten derzeit zunehmend infrage gestellt werden und Antisemitismus und Antiziganismus wieder dazu führen, dass Menschen mit dem Leben bedroht sind, gerade in den Ländern Südost- und Mitteleuropa, wo viele Roma in menschenunwürdigen und apartheidsähnlichen Strukturen zu leben gezwungen sind: „Wenn nun der ungarische Präsident Orban, dessen Land ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist, wieder über die Rasse und ethnische Reinheit referiert und ein Vokabular nutzt, das an die dunkelsten Zeiten der europäischen Geschichte erinnert, dann ist das ein weiterer Spaltungsversuch, der einerseits brandgefährlich ist für den Frieden in unserer Gesellschaft, unser Gemeinwesen und unsere europäischen Werte. Wir als Europäer müssen uns gegen solche Versuche der Spaltung geschlossen zur Wehr setzen und dürfen solche hetzerischen Aussagen nicht unwidersprochen lassen.“

Der Vorsitzende des Verbands der Roma in Polen, Roman Kwiatkowski, fordert von der Gesellschaft: „Wir wollen keine Privilegien. Wir wollen gleiche Rechte und Pflichten gegenüber der Gesellschaft, der wir angehören. Dort, wo wir Unterstützung und Hilfe brauchen, müssen unsere Rechte genauso geschützt werden, wie der Staat die Rechte aller Bürger schützen sollte.“

Der Überlebende des Holocaust, Christian Pfeil aus Trier, richtete seine Ansprache insbesondere an die junge Generation: „Allen jungen Menschen, die heute hier sind, möchte ich eins mitgeben: Es gibt immer wieder verrückte, besessene und fanatische Leute, die andere Menschen verachten. Die andere Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Nationalität oder wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit verfolgen oder sogar umbringen. Rassistische Tendenzen gibt es heute in ganz Europa. Deswegen braucht es Mut. Deswegen müsst Ihr Euch stark machen für die Demokratie und Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus entschieden widersprechen.“

Für das Jugendnetzwerk TernYpe sprach Nataliia Tomenko aus der Ukraine als Vertreterin der dritten Generation. Auch sie mahnte mit Blick auf die aktuellen Ereignisse in der Ukraine: „Wir alle wissen, dass es heute Ukraine, morgen außerhalb der Ukraine passieren kann. Ich werde nicht aufhören, mich gegen diesen Krieg zu wehren und meine Stimme zu erheben, bis er beendet ist und wir alle Reparationen erhalten und vor einem unabhängigen internationalen Gericht Gerechtigkeit erfahren. Wir brauchen nicht die Barmherzigkeit aus Europa, sondern Ihre Entscheidungen, Ihr Handeln und Ihre Solidarität. Ich ermutige alle junge Sinti und Roma, die die wichtigste Kraft der Bewegung von heute und morgen sind, in allen europäischen Ländern aufzustehen und ihre Stimme zu erheben, Widerstand zu leisten und sich an die Lehren der Vergangenheit zu erinnern!“

Virtuelles Gedenken

An der mittlerweile etablierten Form einer virtuellen Gedenkveranstaltung für die 500.000 ermordeten Sinti und Roma im NS-besetzten Europa werden wir daneben aber weiter festhalten. Die Veranstaltung wird am 2. August und in den Tagen danach über die Website https://www.roma-sinti-holocaust-memorial-day.eu/ zusammen mit einem breiten Informationsangebot (DE/EN/PL/Romanes) zum Thema verfügbar sein.

Pressekontakt:

Thomas Baumann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
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